Dienstag, 1. November 2011

Vom erbärmlichen Zustand des serbischen Fußballs.

Fußball in Serbien. Leidenschaftlicher Fußball meets noch leidenschaftlichere Fans, Bengalos, Hooligans, Roter Stern und Partizan, trickreicher südeuropäischer Fußball statt nordeuropäischem Gebolze, Schlitzohrigkeit und Härte. So spricht das Klischee. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr wenn das Licht angeht:

Eine Woche Belgrad steht auf dem Programm, Fußballspielbesuch ist Pflicht - so denn möglich. Die erste Schwierigkeit mit dem serbischen Fußball ist nämlich dessen Unplanbarkeit. Sofern wir nicht in langen Recherchestunden völlig daneben lagen, scheint es in dem ehemals jugoslawischen Land üblich zu sein, Spieltage erst zwei Tage vor dem tatsächlichen Wochenende zu terminieren. So erfahren wir erst sehr kurz vor Abreise, dass es an unserem Ankunftswochenende kein Sonntagsspiel geben wird in Liga 1 und in Liga 2 kein Belgrader Verein sein Fußwerk an jenem Sonntag verrichtet. Aus Angst am Ende mit völlig leeren Händen dazustehen beschließen wir nach 24 Stunden Zugfahrt kurzer Hand gleich wieder in den Zug zu steigen und in die zweitgrößte Stadt Serbiens, nach Novi Sad, zu reisen. Dort trifft an diesem Sonntag in der zweiten Liga der FK Proleter Novi Sad auf den Lokalrivalen FK Novi Sad. Unsere Reise führt uns in einen Vorort, fast schon ländlich anmutende Dörflichkeit erwartet uns rund um den Sportplatz von FK Proleter. Den Ort des Geschehens Stadion zu nennen würde die Sache wirklich überhöhen. Immerhin behaupten serbische Zeitungen am nächsten Tag, es seien tausend Zuschauer anwesend gewesen, was uns ein arg optimistisch erscheint. Vielleicht aber waren es die ca. 80 Gästefans, die diese Zahl erklären - denn wie wir im weiteren Verlauf erfahren müssen, scheinen Gästefans in Serbien ein seltenes Phänomen zu sein.

fk proleter novi sad
Hurra, das ganze Dorf ist da! (Das Plakat verkündet dazu: Proleter schreibt man mit dem Herzen)

Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt: Der Fußball der beiden Lokalrivalen ist leidenschaftlich, aber schlecht. Weder die einen noch die anderen hätten auch nur den Hauch einer Chance in der zweiten Bundesliga, aber Einsatz und Wille stimmen. In der zweiten Halbzeit verplätschert das Spiel vollends, bis plötzlich in der 87. Minute ein, sagen wir mal, äußerst schmeichelhafter Elfmeter den rot-weiß gewandten Gastgebern das 1:0 beschert - ein Umstand, der nicht mehr zu erwarten war. Schnell noch ein Bier im Vereinslokal, das allerdings mehr Wettbüro als Vereinslokal ist und ab nach Hause.

fk proleter novi sad
Eine seltene Gattung im serbischen Fußball: Gästefans. Mit Bengalos. Und acht Polizisten.

Unsere Sorge, in Belgrad selbst möglicherweise kein Spiel zu sehen zu können, erweist sich als völlig unbegründet: Mitte der Woche erwartet uns der serbische Pokal. Und der Fußballgott meint es gut mit uns: Sowohl der FK Crvena Zvezda (Roter Stern), als auch Partizan Beograd haben ein Heimspiel, die einen am Dienstag, die anderen am Mittwoch - da beide Stadien dieser ewigen Konkurrenten kaum mehr als einen Steinwurf voneinander entfernt liegen, spielen sie nie am gleichen Tag zu Hause.

Zunächst geht es also ins "Marakana" genannte Stadion des einzigen osteuropäischen Vereins neben Steaua Bukarest, dem es jemals gelang, den Landesmeisterpokal zu gewinnen: FK Crvena Zvezda, Roter Stern. Der Umstand, dass der Gegner ein Zweitligist ist, macht uns zwar geringe Hoffnungen auf ein gutes Spiel vor vollem Haus, doch was wir sehen, ist noch weniger als erwartet: 6242 Zuschauer verlieren sich im weiten Rund (das Stadion soll 2012 umgebaut und vergrößert werden, es stellt sich die Frage wofür), keinerlei Gästefans, immerhin, es gibt Ultras, die auch 90 Minuten durch singen und ab und an mit Bengalos wedeln, doch auch das reicht nicht, um wirklich Fußballatmosphäre aufkommen zu lassen.
Der Gegner, FK Banat Zrenjanin - immerhin Dritter der 2. Liga - mauert sich ein und bringt es auf insgesamt vier Konter. Dem ruhmreichen Roter Stern fällt dazu überhaupt nichts ein, es fehlt an Ideen, Laufbereitschaft und überhaupt allem, was erfolgreichen Fußball ausmacht. Bewegung kommt in die Sache, als Gastgeber-Torwart Vesic in der 70. Minute einen der seltenen Konter Banats außerhalb des Strafraums mit der Hand abwehrt, was eine rote Karte und den Einsatz des ghanaischen Abwehrspielers Lee Addy als Torwart zur Folge hat, da Roter Stern schon dreimal wechselte.
20 Minuten also Zeit für Banat diesen Umstand auszunutzen, doch - nicht ein Schuss auf das Tor Roter Sterns. Hilflos, chancenlos, erbärmlich. Und so richtet sich alles auf die Verlängerung ein, als in der 96. Minute ein vermeintliches Handspiel zu einem Elfmeter für den Favoriten führt. Wut und Entsetzen, Rudelbildung, eine rote und zwei gelbe Karte für die Gäste - nichts hilft, Roter Stern gewinnt das Spiel mit 1:0, erzielt in der regulären Spielzeit, also der 98. Spielminute. Der Schiedsrichter bleibt sicherheitshalber noch zehn Minuten auf dem Feld, bevor er sich in Richtung Kabine wagt.

fk crvena zvezda
Wer glaubt, dieses Foto sei Stunden vor dem Spiel entstanden, irrt. Fünf Minuten vor Anpfiff. Zugegeben, die andere Kurve ist voller. (Stadion Crvena Zvezda)

Nun gut, grauenhafte Pokalspiele eines großen Favoriten gegen einen unterklassigen Gegner kennen wir auch. Wir haben also Hoffnung, dass es am nächsten Tag besser wird: Partizan Beograd, zuletzt viermal in Folge serbischer Meister geworden, erwartet FK Metalac - immerhin Erstligist, wenn auch letzter der SuperLiga. Und tatsächlich: Es fallen Tore, ganz ohne zweifelhafte Elfmeter in der letzten Minute. Dummerweise steht es schon 2:0 in der zehnten Minute, in der wir aus mangelnder Ortsunkenntnis (die Kassen sind hundert Meter weiter, falls das mal jemand wissen muss) das Stadion betreten. In Folge dessen - Metalac kann nichts, Partizan will nichts mehr - sehen wir belangloses Geplänkel, das uns zwar noch zwei Tore schenkt, je eins pro Mannschaft, das aber so schlecht ist, dass sogar die Heimfans ihren Unmut äußern. Apropos Heimfans: 2968 sollen es gewesen sein, natürlich keine Gästefans. Traurig.

partizan beograd
Das wahrscheinlich modernste Stadion der Stadt mit dem Tempel des Hl. Sava im Hintergrund.

Vielleicht, so überlegen wir, liegt es ja am Wettbewerb und am Wochentag, dass der Fußball so wenig Menschen locken kann. So geht es also am letzten Reisetag schnell noch zum drittgrößten Verein Belgrads, dem OFK Beograd. Gegner ist FK Borac Čačak - Kellerduell in der ersten Liga, 11. gegen den 14.. Eine letzte Chance für den serbischen Fußball, uns Atmosphäre und Fußball von nennenswerter Qualität zu bieten. Wenigstens eines von beidem wäre schön - wie der geneigte Leser schon vermutet: Weder noch ist der Fall.
Im Gegenteil. 234 handgezählte Zuschauer in einem Stadion, dessen äußerst maroder Zustand zwar einigen Charme hat, aber die Leere auch nicht übertünchen kann und ein Fußballspiel, dessen grauenhafte Qualität alles bisher gesehene unterbietet. Je ein Elfmeter, der der Gäste verschossen, und ein eklatanter Torwartfehler bescheren dem Gastgeber einen verdienten 2:0 Sieg.

ofk beograd
Serbischer Fußball ist, wenn nicht mal die Menschen, die fast im Stadion wohnen zum fenster herausschauen. Aber immerhin gibt es Ordner.

Belgrad ist eine schöne, unbedingt sehenswerte Stadt. Der jugoslawische Fußball war einst eine wichtige Größe, und auch heute ist er so schlecht nicht, bedenkt man, dass drei ehemals jugoslawische Mannschaften in den Play-Offs für die EM stehen und Serbien nur knapp scheiterte, selbige zu erreichen. Und natürlich: Wer gut Fußball spielen kann, spielt nicht in Serbien, nur zwei Spieler des aktuellen Nationalmannschaftskader schnüren ihre Fußballschuhe für einen serbischen Verein. Aber nichtsdestotrotz: Die Zukunft des serbischen Fußballs sieht düster aus, wenn sich die Gegenwart so darstellt, wie sie es tut - Tristesse auf dem Rasen, Tristesse auf den Rängen, völliges Desinteresse aller Beteiligter, Besserung nicht in Sicht. Schade.

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