Montag, 18. Oktober 2010

Kein Grund für Empörung

Bei einem meiner beiden Versuche im regulären Vereinsfußball Fuß zu fassen, ich war gerade alt genug, nicht mehr für die A-Jugend zu spielen, also jung, agil und schnell, spielten wir, irgendwo in den Niederungen der ländlichen Ligen, gegen eine Altherren-Mannschaft. Mein Gegenspieler, ich war Stürmer, er Manndecker, ja, so alt bin ich, obwohl, naja, in den Niederungen wird vermutlich noch heute mit Manndeckung gespielt, mein Gegenspieler jedenfalls, war ein alter, dicker, man verzeihe mir, Sack. Zwar hatte ich bei meinem ersten Versuch mit dem regulären Vereinsfußball recht hochklassig gespielt, dies aber eher zufällig, um es offen zu sagen: Der Verdacht, dass aus mir ein zweiter Icke Häßler werden könnte, stand nie im Raum. Zwar hatte ich einen ganz guten Blick für das Spiel, aber die Technik war nie meine Stärke - damals lebte ich vor allem von der Schnelligkeit. Mein Gegenspieler, der alte, dicke Sack, hatte, sobald sich die Zuordnung auf dem Feld ergab, erkannt, dass es für ihn schwierig werden würde an diesem Tage. Und so tat er, was er tun musste: Kaum, dass wir einmal auf dem Feld beieinander standen, sagte er mir mit gehobenem Zeigefinger und wirklich furchteinflößendem Gesichtsausdruck: "Pass mal auf, Junge, damit eins klar ist: Gerannt wird hier nicht". Ich war nun so frei, nicht freiwillig auf meine beste Stärke zu verzichten, also packte er sein Arsenal an Gegenmaßnahmen aus, und so entstand ein für mich bis heute denkwürdiges Spielchen: Ich versuchte zu rennen, er versuchte dies zu verhindern mit allen Tricks und Tücken, die ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte, wenn überhaupt. Nie wirklich brutal, nie verletzungsgefährend, aber leider, ich muss es zugeben, erfolgreich: Ich bekam, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Bein auf den Boden. Irgendwann fing ich mir eine gelbe Karte, weil der Schiedsrichter meinte, es sei nun genug mit den Schwalben, die in Wahrheit keine waren, gab das Rennen mehr oder minder auf und wurde ausgewechselt. Er hatte gewonnen.

Wie vermutlich fast alle Fußballfans mag auch ich die große Kunst, die magischen Momente, schnelle Ballstafetten, Wunder der Athletik, an die unsereins als Nichtleistungssportler niemals herankommen wird und all diese "Woah!"-Momente. Aber Fußball ist nicht nur das, er ist auch Dreck und wohldosierte Boshaftigkeit, Provokation und Gegenreaktion. Das Problem dabei ist, zugegebenermaßen, die Grenze, das Maß. Die Verletzung eines Gegenspielers zu beabsichtigen oder leichtfertig in Kauf zu nehmen ist eine Überschreitung der Grenze, die Balance zwischen Theater und Sport muß stimmen. Wenn letzteres nicht stimmt, verdienen sich Spieler Beinamen wie "Heulsuse" oder "Schwalbenfrettchen" und das völlig zu Recht. Wenn sich allerdings zwei Spieler, die in einem Spiel zu den besten Akteuren auf dem Platz gehören, ein kleines Scharmützel liefern, wie es Lukas Podolski und Nuri Şahin am Freitag taten (und im Fall des Letzteren ist damit nicht sein Zufallstreffer in der 91. Minute gemeint, sondern seine Reaktion darauf), so gibt es da aus meiner Sicht keinerlei Platz für Empörung. Wir erwarten von den Spielern, dass sie neunzig Minuten mit ganzer Leidenschaft und vollem Einsatz spielen, und so lange sie oben genannte Grenzen einhalten, die Regeln nicht verletzen und die Balance wahren, ist jedes Mittel erlaubt. Alles andere ist Kokolores.

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