Donnerstag, 28. April 2011

Geschichte wird gemacht: Die Causa Finke

Es ist immer die Frage, wie eine Geschichte erzählt werden soll. Was erzählt werden soll und was nicht. Und nicht zuletzt, was der Leser aus den Worten für eine Geschichte herausliest, auch er agiert als Autor.

Die Geschichte rund um den Rücktritt Frank Schaefers als Cheftrainer des 1. FC Köln ist klar und eindeutig, glaubt man den Zeitungen und einem nicht geringen Teil der Fans in Foren und Blogs. Der aufrichtige Herr Schaefer, durch Indiskretionen und Intrigen aus dem Amt gemobbt von Sportdirektor Finke, der es schlußendlich erfolgreich schafft, Schaefer aus dem Amt zu vertreiben und es selbst zu übernehmen, weil er es nicht lassen kann, Trainer zu sein, weil er zu machthungrig ist, um jemanden neben sich zu dulden.

Eine einfache Geschichte, so könnte man glauben. In ihrer scheinbaren Einzigartigkeit aufsehenserregend und "typisch Köln", aber eben: Einfach.

Spätestens der zweite flüchtige Blick macht die ganze Geschichte allerdings weniger eindeutig und nährt Zweifel daran, ob diese Geschichte so richtig erzählt ist.

Die Geschichte beginnt, jedenfalls für den außenstehenden Beobachter, Mitte März. Genau genommen am 18. März, da nämlich erscheint im Kölner Stadtanzeiger ein Interview mit FC Geschäftsführer Claus Horstmann. In den zurückliegenden wilden Zeiten mit Meier, Overath und Daum gilt Horstmann bei Presse und Fans als der Gute, der weder Intrigen spinnt, noch ohne Weitsicht agierend einzig am kurzfristigen Erfolg interessiert ist. Ein Ruf, der sich spätestens am 18.03. erledigt hat. In jenem Interview nämlich erzählt Horstmann, Schaefer habe "hier in den vergangenen Monaten wirklich eine Visitenkarte abgegeben und mehr geleistet, als man erwarten konnte", ein Gespräch darüber aber, ob Schaefer über die Saison Cheftrainer bleiben werde, werde erst nach Klassenerhalt geführt. So sei es verabredet, so ist es - dies steht nicht im Interview, wurde allerdings vom Trainer bis dahin schon mehrfach in anderen Interviews erwähnt - von Schaefer selbst gewünscht. Kein aufsehenserregendes Interview also, es wird wiederholt, was alle wissen. Geführt wurde es übrigens von Karlheinz Wagner.

Was allerdings nicht in diesem Interview steht, erfährt der Leser in der Überschrift: "Kein Bekenntnis zu Schaefer" heißt sie. Und damit der Leser mit dieser Überschrift nicht so alleine dasteht, werden ihm noch gleich zwei Artikel an die Seite gestellt, denen er entnehmen kann, "ohne Not hat der 1. FC Köln zum Spekulieren aufgerufen" durch das "bizarre Spiel der FC Führung". Ein Kriegsschauplatz wird eröffnet.

Doch das Thema beruhigt sich wieder. Grund dafür ist vor allem eine historische Heimsieg Serie, sieben Siege zu Hause in Serie, vom 16. bis zum 28. Spieltag ist der FC auf heimatlichem Grund unschlagbar. Dieser Heimserie steht allerdings die Auswärtsserie gegenüber: Im gleichen Zeitraum gewinnt der FC in der Fremde kein Spiel, gewinnt 2 glückliche Punkte von 21 möglichen bei 5 zu 21 Toren (die später folgende Niederlage in Wolfsburg nicht miteinberechnet). Trotzdem wachsen Schaefers Sympathiewerte in den Himmel, es braucht nicht viel um zu erkennen, dass die ganze Geschichte einen anderen Verlauf genommen hätte, wären die Siege in der Fremde und die Niederlagen vor heimischen Publikum geschehen.

Vorbei mit der Ruhe ist es spätestens einen Monat nach jenem Horstmann Interview. Die Bild Köln, es wird gemunkelt, sie sei Präsident Overaths bevorzugter Kommunikationskanal, berichtet am 11. April plötzlich vom Zögern des Volkshelden bezüglich eines neuen Vertrages. Grund sei dessen sensible Art und die Belastung, die das Fulltime- und Showgeschäft Bundesliga mit sich bringe.

Und in der Tat: In seiner Zeit als Cheftrainer fällt Schaefer positiv auf. Weil er anscheinend das Wort Show sehr klein schreibt. Weil in seinen punktgenauen Analysen deutlich wird, wie sehr er Fußball lebt und denkt. Weil er sich selbst nie in den Vordergrund stellt, sondern immer nur den Klub. Und weil er vom ersten Tag an offen sagt, dass er nicht weiß, ob dieses Geschäft das richige für ihn sei und sich eine Rückkehr zu der U23 sehr gut vorstellen könne. Aufrichtigkeit und Unaufgeregtheit sowie eine hohe Fachkompetenz sind von Anfang an die medialen Zuschreibungen.

Am nächsten Tag erscheint in der Bild ein weiterer Artikel, in dem der späte Entscheidungspunkt erstmals als problematisch dargestellt wird. Mittlerweile hat der FC der 2:6 Klatsche beim HSV ein 1:5 Debakel beim niederrheinischen Nachbarn folgen lassen und spätestens jetzt ist allen klar, dass die Entscheidung über den Klassenerhalt nicht allzu bald fallen wird.

Einen weiteren Tag darauf, auch in der Bild: Auftritt Finke. Ab hier wird es schwierig, die Vorgänge so objektiv wie möglich zu beschreiben, da alles weitere der Interpretation des lesenden Autoren unterworfen ist. So vorsichtig formuliert wie möglich: In einem Interview mit der Kölner Ausgabe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben erklärt Finke, warum es Schaefer offenbar schwer falle, sich stante pedes für den Cheftrainerjob in der Bundesliga zu entscheiden, sondern nicht nur bis zum Klassenerhalt mit einer Entscheidung warten wolle, sondern über den glücklichen Tag des Ligaverbleibs hinaus eine weitere Bedenkzeit brauche: Dies liege nicht begründet in branchenüblicher "Alters- und Planungskarriere", sondern in der "privaten, grundsätzlichen Lebenseinstellung" Schaefers, in der dessen religiöser Glaube ja eine große Rolle spiele.

Auf den ersten Blick läßt dieses Interview zwei miteinander konkurrierende Interpretationen zu. Die Finke-freundliche liest sich so: Der Sportdirektor versucht Dampf aus dem sich zunehmend erhitzenden Kessel der Vertragsverlängerungsfrage zu nehmen, in dem er die besonderen Entscheidungsumstände Schaefers erläutert. Warum zögert der von den Massen geliebte und sportlich trotz der bodenlos schlechten Auswärtsbilanz durchaus erfolgreiche Trainer so lange damit, seinem Verein Planungssicherheit zu verschaffen? Einen dementsprechenden Vertrag hat er offenbar seit einem halbem Jahr vorliegen. Es liegt, so kann man das Finke Interview durchaus lesen, an der Kehrseite der Aufrichtigkeit und Authentizität Schaefers, die eben für die branchenübliche Gier nach Geld, Ruhm und Macht keinen Platz lasse in den Prioritäten Schaefers, sondern stattdessen Hand in Hand mit religiös motivierter Demut gehe.

Dies ist, wie gesagt, eine mögliche Interpretation und sie interpretiert Finkes Worte zu Gunsten des Sportdirektors. In der weiteren medialen Begleitung kommt sie nicht vor.

Stattdessen erscheint noch am selben Tag im Kölner Stadtanzeiger ein Kommentar Karlheinz Wagners, der Finkes Argumentation "äußerst bizarr" nennt. "Die mehrfache und explizite Betonung dieses hochprivaten Details aus Schaefers Vita in diesem Kontext klang wie die vorweggenommene Begründung für das bevorstehendes Ende der Zusammenarbeit." - der Mythos vom Trainerstuhlsägenden Finke ist geboren. Ein Tag später stellt auch Stephan von Nocks im Kicker (Print) die Frage, ob die Thematisierung von Schaefers Glauben durch Finke richtig war und fragt ob der Trainer dadurch nicht in die "Schublade des Predigers" gesteckt würde, die ihm die Glaubwürdigkeit nehme. Darüber hinaus mische sich, und es entsteht ein weiterer Baustein im Bild des Schurken Finke, der Sportdirektor in das Training ein, so rufe er schon mal Anweisungen von seinem Beobachterposten an den Bande ins Feld. Bei einer Videoanalyse habe er das Wort ergriffen.

Dinge, die Trainer Schaefer nicht stören, glaubt man seinen öffentlichen Aussagen. "Frank Schaefer ist tief enttäuscht" lautet zwar die Überschrift eines Interviews des Kölner Stadtanzeigers mit dem Trainer am 16.04., und aufgrund der Unterüberschrift scheint sich die Aussage der tiefen Enttäuschung auch auf Finke und dessen Äußerungen zu beziehen, im Interview selbst liest sich das allerdings anders: "Volker Finke hat versucht, die Beweggründe besser einzuordnen. Aber es herrscht eine Diskrepanz zwischen seinem Antrieb und den Dingen, die später daraus gemacht wurden." Über Finkes Einmischungen sagt er: "Aus Trainersicht ist es immer wichtig, sich auszutauschen. Es passiert immer, dass Ansprachen von anderen gehalten werden. Man verbrennt sonst, wenn man fünf-, sechsmal die Woche zur Mannschaft redet." und zum allgemeinen Verhältnis zwischen Sportdirektor und Trainer: "Wir haben ein intensives, vertrauensvolles und ehrliches Verhältnis und sprechen über alles."
Die tiefe, titelgebende Enttäuschung hingegen rührt aus der Tatsache, dass immer wieder, wie schon seit Jahren Interna die Kabine verlassen und sofort beim nächstbesten Journalisten landen.

Es wird allerdings bei fortschreitender Geschichte Schaefers Worten immer weniger Glauben geschenkt. Schaefer will, so hat er in der Tat immer wieder betont, bei einer potentiellen Demission vom Cheftrainerstuhl gerne weiter als U23 Trainer arbeiten, und würde dies natürlich auch unter Sportdirektor Finke tun, dem er also tunlichst nicht gegen das Schienbein treten solle und wolle. Die Diskrepanz zwischen der ehrlichen und aufrichtigen Authentizität Schaefers, die eine Beschäftigung im Haifischbecken Bundesliga mit all seinen Lügen und Intrigen unmöglich macht einerseits und der angeblichen Bereitschaft Schaefers wieder und wieder unverfroren zu lügen, wenn es um das Verhältnis zu Finke und um die Motive für seinen Rückzug geht, nur um seinen Job bei der U23 zu retten andererseits - diese Diskrepanz findet in der weiteren Geschichte keine Verwendung, sie wird stillschweigend hingenommen und nicht weiter thematisiert, da die stattdessen erzählte Geschichte von Finkes Mobbing ansonsten nicht stimmig ist. Nur wenn Schaefers wiederholte und expliziten Äußerungen über das Verhältnis zu Finke Lügen sind, um seinen vergangenen und zukünftigen Job zu sichern, kann sie funktionieren. Nur wenn diese Lügen nicht beleuchtet werden, kann Schaefer weiter der Gute sein.

Dass sich Finkes Eingreifen in die Videoanalyse später als ein Fall entpuppt, in dem ein älterer Spieler Schaefers Ausführungen über einen ihm vom Trainer vorgeführten Fehler im Spiel ignoriert und von Finke aufgefordert werden muss, dem Trainer Ohr und Aufmerksamkeit zu schenken, fällt vollkommen unter den Tisch. Es wirft ein schlechtes Licht auf die Mannschaft und auf die Beschaffenheit von Schaefers Autorität, aber keines auf Finke. Offenbar ein unbrauchbarer Teil der Geschichte.

Fortan jedenfalls werden die Vorgänge unter dem Begriff "Demontage" zusammengefasst. "Finkes Nadelstiche" haben den Trainer "zermürbt", dessen unüblicher Wunsch, nach gelungenem Klassenerhalt eine Auszeit zu nehmen, um darüber nachzudenken, ob er dem FC weiter als Cheftrainer zur Verfügung stehen möchte, hingegen keine Rolle mehr spielt. Als Schaefer schließlich nach der Heimniederlage gegen Stuttgart vorzeitig verkündet, seinen Vertrag nicht verlängern zu wollen, sondern ins zweite Glied zurück zu wollen, ist für Presse und weite Teile der Fans der Schuldige gefunden, bevor untersucht werden kann, ob es überhaupt eine Schuld gibt: Finke.

Dabei wird gerade seitens der Fans gerne außer Acht gelassen, warum Volker Finke überhaupt beim Verein ist und was seine Aufgabe dabei ist: Er ist kein fußballahnungsloser Manager wie Meier, seine Aufgabe ist es, dem Verein eine sportliche Linie, ein Konzept zu geben und dieses durchzusetzen. Diese in den Herbststürmen, als die Mitglieder dem Vorstand nach Jahren der kurzfristig gedachten Stümperei die Entlastung verweigerten, immer wieder vehement geforderte Besetzung einer Leerstelle in der grundsätzlichen Struktur des Klubs spielt in den festzementierten Interpretationsangeboten der Medien und den Interpretationsannahmen der Fans keine Rolle mehr. Finke sei daran interessiert, dass auf dem Trainerstuhl jemand sitze, der ihm kein Kontra in der sportlichen Ausrichtung gebe. Dies ist als Vorwurf gemeint, was absurder kaum sein kann - ein Sportdirektor, der dieses Ziel nicht verfolgt, ist sein Geld nicht wert.

Spätestens seit Schaefers endgültigem und sofortigem Rücktritt am gestrigen Mittwoch ist Finke reif für den vollständigen Beschuß. Dass er den Trainerposten für die kommenden drei Spiele übernommen hat, werfen ihm zwar selbst seine schärfsten Kritiker nicht vor, wenn auch nur zähneknirschend, da es in der Tat die sinnvollste Vorgehensweise zu sein scheint. Dafür aber öffnen Karlheinz Wagner via Kölner Stadtanzeiger bzw. Frankfurter Rundschau und Stephan von Nocks via Kicker (Print) aber die Schatulle des Vertraulichen. "Vertraulich", so Wagner, habe Finke Zweifel an Schaefers Arbeit geäußert, Zweifel, die die Mobbing-These stützen ebenso wie das äußern dieser gegenüber Journalisten. Allerdings darf man fragen, wie weit vertrauliche Äußerungen öffentliches Mobbing sind. Und ob dieser Vorgang, dass nämlich in informellen und vertraulichen Gesprächen Informationen an Journalisten fließen, die da nicht unbedingt hingehören alltäglich ist. Und ob der Vorgang, dass diese vertraulichen Informationen dann in der Zeitung landen, nicht ziemlich ungewöhnlich ist.
Stephan von Nocks hingegen beendet seinen Artikel über die Interna am Geißbockheim mit dem Zitat des Skykommentators vom vergangenen Sonntag beim Spiel gegen den VfL Wolfsburg, welcher für große Heiterkeit in der FC-Kneipe, in der ich weilte, sorgte: "Erst seit Volker Finke im Klub ist, ist die Unruhe wieder zurück. Das ist Fakt" - Lieber Skykommentator, lieber Herr von Nocks, ich glaube, eine Trainerentlassung, eine Managerentlassung sowie eine Nichtentlastung des Vorstandes vor Finkes Engagement sowie fünf der sieben Heimsiege nach Finkes Eintreffen stützen diese abenteuerliche These der Oase der Ruhe, in die Finke seit dem ersten Tage Unruhe brachte, nicht.


Manch einer mag mir diesen Artikel als Verteidigung Finkes auslegen, und auch wenn ich zugeben muss, dass ich die Verpflichtung Finkes als Sportdirektor nach wie vor positiv sehe, er ist so nicht gemeint. Ich weiß nicht, welche Dinge intern besprochen werden, im Gegensatz zu den erwähnten Journalisten habe ich keine Standleitung zu Spielern oder Trainern und werde auch nicht von Volker Finke angerufen, wenn er etwas klären möchte.

Ich lese allerdings eine Geschichte, die auf Biegen und Brechen stimmig gemacht wird und die auf recht einfache Art und Weise Schwarz-Weiß malt.
Ich halte es durchaus für möglich, dass Finke in seiner Funktion als Sportdirektor zu dem Schluß gekommen ist, dass Schaefer - im Gegensatz zu meinem Eindruck des Trainers - nicht der richtige ist, um die Mannschaft auch über den Sommer hinaus zu führen. Wenn dem so war, so gehört es natürlich zu seinen Aufgaben, dem entgegen zu steuern, wenn auch nicht öffentlich, aber durchaus gegen den potentiellen Widerstand aus der Anhängerschaft oder der Presse. Andererseits kann ich mir genauso gut vorstellen, dass Teile der Kölner Presse frühzeitig festgestellt haben, dass Volker Finke schwieriger zu nehmen ist, als sie es gewohnt sind. Der blindwütige Eifer jedenfalls, mit dem sie agiert, macht solche Gedanken greifbar.

Aber: Ich weiß weder das eine noch das andere und ich lese und höre wenig, was mich überzeugt, die eine oder die andere Geschichte vorbehaltlos zu glauben. Und Geschichten sind es allemal.

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