"Diese sogenannten Fans"

Nach dem gestrigen Platzsturm des Berliner Publikums bei der möglicherweise alles entscheidenden Niederlage gegen den Club aus Nürnberg lesen sie sich mal wieder überall: Die Worte von den "sogenannten Fans". Jene sind gemeint, die sich in blinder Wut und fehlgleiteten Enttäuschung mit Plastikfahnenstöcken bewaffneten, den Sicherheitsgraben überwunden und den Innenraum stürmten.

Dieses "sogenannt" soll, das brauche ich niemandem, der einigermaßen lesen kann, sagen, vor allem eines implizieren: Richtige Fans sind das nicht. Richtige Fans feuern ihre Mannschaft an, sind leidenschaftlich, pfeifen vielleicht auch mal, wenns nicht läuft und das zur (Un)Kultur des Vereines dazugehört, aber gewaltsam sind sie nicht. Das hier aber sind nur verkleidete Gewaltbereite, die nur so tun, als wären sie Fans.

Das ist Unsinn. Leider.

Die hundert Jungs (ich vermute mal, daß es sich in erster Linie um männliche Anhänger Herthas handelte), die da gestern in zweifelsfrei vollkommen dämlicher Art und Weise auf sich aufmerksam machten, sind genau die, die sonst ihren Verein anfeuern, leidenschaftlich unterstützen oder eben auspfeifen (was natürlich das genaue Gegenteil von Unterstützung ist). Sie sind Fans. Keineswegs handelt es sich um untergeschmuggelte, als Fußballfans verkleidete Kuckuckseier.

Natürlich ist der Umkehrschluß nicht zulässig: Nicht jeder fanatische Unterstützer eines Vereines findet kein anderes Mittel, auf das Gefühl der ohnmächtigen Enttäuschung mit Gewalt zu reagieren. Insofern ist es durchaus legitim, darauf hinzuweisen, daß nicht alle Menschen, die regelmäßig ein Fußballstadion ihrer Wahl aufsuchen, zu blindwütiger Gewalt neigen. Das aber macht aus jenen, die es tun, noch lange keine Nicht-Fans.

Auch wenn das, was da gestern im Olympiastadion geschah, in dieser Form bislang einmalig ist, so ist es doch nur eine Zuspitzung von Alltäglichem: Jedes Wochenende reklamieren Fußballfans lautstark das Recht auf Erfolg ihrer Mannschaft, fordern die Befriedigung des eigenen Egos durch erfolgreichen Fußball ihrer Mannschaft. Ob das eher harmloses Auspfeifen der eigenen Mannschaft ist, oder das Fordern von rollenden Köpfen hinterher, ob es der inzwischen leider recht weit verbreitete Slogan "Wenn ihr absteigt, schlagen wir Euch tot" ist - Daß die Massen auf den Rängen ohne zu zögern ihrer eigenen Mannschaft die Unterstützung entziehen und mit Gewalt - egal ob verbaler oder physischer Natur - drohen, so ihr Ansinnen nicht erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, ist keineswegs unüblich und ganz gewiß nicht die Folge untergeschmuggelten Kuckuckseier, wie es die Formulierung von den "sogenannten" suggerieren will.

Ein paar Klarstellungen: Keineswegs möchte ich gutheißen, was da gestern geschah. Ich kenne tiefste Enttäuschung durch meinen Verein - ich bin effzeh Fan, natürlich kenne ich die - aber all das, sei es das Auspfeifen, sei es der oben genannte Slogan oder gar solche Aktionen wie die gestern, war mir schon immer und wird mir immer völlig unverständlich bleiben. Denn mit Unterstützung des eigenen Vereins hat es nie zu tun.
Und: Es geht mir mitnichten darum, zu kriminalisieren. Wenn ich sage: Auch jene die da gestern den Platz stürmten, sind Fußballfans, ganz ohne das "sogenannte", will ich damit nicht zu stärkeren Sanktionen allen Fußballfans gegenüber aufrufen.

Die Befriedigung des eigenen Egos, nannte ich es weiter oben, und ich denke, da ist der Hase im Pfeffer begraben. Wer das Gefühl hat, sich tagein, tagaus für seinen Verein aufzuopfern und nicht in der Lage ist, zu abstrahieren, weil er es nicht gelernt hat, muß den Misserfolg, insbesondere wenn er so massiv daherkommt wie in Herthas Fall, als persönlichen Affront begreifen. Kommt dann noch zu der Abstraktionsunfähigkeit das Unvermögen, die Enttäuschung durch den als persönlichen Angriff verstandenen sportlichen Misserfolg in Bahnen zu kanalisieren, die nicht in Gewalt münden, kommt das heraus, was wir da gestern sehen konnten.

Fußballfans sind sie trotzdem. Ob einem das gefällt oder nicht.
gses (Gast) - 14. Mär, 18:00

so und nicht anders

hatte das so ähnlich gestern auf twitter kundgetan. danke, dass du es nochmal in ausführlichere worte gepackt hast. diese scheinheiligkeit - "oh gott wie konnte das passieren" ist einfach nur lachhaft. besonders in so einem brisanten spiel, dass man in der letzten minute verliert. und stehplatzfans sind keine mathelehrer.

thomas (Gast) - 14. Mär, 18:13

"Wer das Gefühl hat, sich tagein, tagaus für [...] aufzuopfern und nicht in der Lage ist, zu abstrahieren, weil er es nicht gelernt hat, muß den Misserfolg, insbesondere wenn er so massiv daherkommt wie in Herthas Fall, als persönlichen Affront begreifen."


Toller Satz.

spielbeobachter - 14. Mär, 18:21

Ähm..

.. wobei mir die von Dir vorgenommene Auslassung da schon recht wichtig finde. Generellgültig würde ich ihn jedenfalls nicht unbedingt nennen.
thomas (Gast) - 15. Mär, 14:53

hm. ja. richtig.
Sebastian (Gast) - 14. Mär, 19:00

Wirklich sehr gute Analyse!

keano (Gast) - 14. Mär, 23:03

Die reflexhafte Abgrenzung gegen die "sogenannten Fußballfans" ist ja ungefähr genauso wenig intelligent, undifferenziert und vor allem selbstgerecht wie das allgegegenwärtige "Fußballfans sind keine Verbrecher" nebst "ACAB" der vermeintlichen Gegenseite.
Keine der Aussagen wird auch nur im Geringsten der komplexen Materie gerecht.

Jast (Gast) - 16. Mär, 13:08

man(n) muss hat auch mal verlieren können

alles richtig, was der spielbeobachter da so ersonnen und nierdergeschrieben hat.
die herren oberen der hertha vergessen (nix neues), dass die 'schlimmen', 'unerwünschten' und 'sogenannten' fans ja in erster linie mal fans sind und ihren verein (so blöd der auch sein mag) mit ihren eintrittsgeldern und darüber hinaus unterstützt haben und sogar noch weiter unterstützen.
es ist ja auch gar nicht so lange her, dass die olle tante hertha in der zwoten bundesliga fast ausschließlich von solchen 'sogenannten' fans untertstützt wurde. der hertha-fan-block war zu diesen zeiten nicht unbedingt das, was man sich unter einem begeisterten aber friedlichen, durch den sportsgeist beseelten publikum vorzustellen hatte. gerne wurden angebote für die (achtung!) sogenannte dritte halbzeit gemacht, um das häufig verlorene spiel auf dem platz durch einen fulminanten sieg auf dem freien felde zu kompensieren.
es ist für mich allein verwunderlich, dass es überhaupt noch eine wahrnehmbare anzahl von diesen 'sogenannten' fans in den hertha-reihen gibt. ich dachte die wären durch die grassierende hoeneßisierung der hertha schon längst bei vereinen in der verbandsliga gelandet.
von daher ist das 'fanal' vom letzten spiel auch als beruhigendes zeichen zu interpretieren, dass sich mache dinge doch nicht so schnell ändern. für den auftritt der hertha in liga zwei, läßt das doch sehr hoffen. ich muss mir also kein neues 'sogenanntes feindbild' suchen.

heute training, herr b.? ;-)
Heinz (Gast) - 17. Mär, 16:10

Wichtige Klarstellung

Ich kann diesem Blog so ziemlich zustimmen. Die Medien mit ihrer Ausgrenzung und Diskreditierung der "Sogenannten" führt doch nur zu weiteren Provokationen. Was bringt es denn die ohnehin Verzweifelten noch weiter fertig zu machen? Sie noch weiter zu beleidigen und zu entwürdigen? Ihnen sogar das "Fan-sein" abzusprechen, also das was ihnen im Leben anscheinend am meisten bedeutet?

Dadurch stachelt man diese Menschen doch nur noch mehr an. Aber genau das wollen die Medien ja. Diese ganze Pseudomoral in ihren Meinungen ist alles andere als ehrlich gemeint. In Wirklichkeit wollen die doch, daß es immer schlimmer eskaliert. Denn über Gewalt zu berichten lohnt sich immer. Das steigert Quoten und Auflagen.


Darüber hinaus schaffen es die Medien mit ihrer Abstumpfung auch noch eine Debatte über die Ursachen der Gewalt schon im Keim zu ersticken. Solche Ausraster sind kein Symptom des Sportes, ansonsten könnte man ja erwarten, daß jeder Fan ausrastet und nicht nur ein paar wenige. Vielmehr entsteht Gewalt in den meisten Fällen durch gesellschaftliche Differenzen. Aber damit will man sich ja bloss nicht beschäftigen. Das wäre den Lesern und Zuschauern auch viel zu kompliziert.
Lieber schreien alle nach Verbote. Verbote versteht jeder. Das Verbote aber Probleme nur verschieben und sie nicht bekämpfen, das wollen die Idioten natürlich wieder nicht kapieren.

Sollen sie doch mal die Ultras, den harten Kern der Fans, aus den Stadien und den Vereinen treiben. Die Gewaltbereiten unter ihnen suchen sich dann irgendetwas anderes um sich auszutoben. Antifa oder Nazis, hauptsache man findet etwas im Leben wofür es sich lohnt zu kämpfen, woran man sich festhalten kann, wenn es sonst nichts mehr gibt.

Es ist einfach erbärmlich wie blind in der Öffentlichkeit mit dem Thema Ignoranz umgegangen wird. Der Fußball ist ja nicht das einzige Thema, wo ständig nach Verboten geschrien wird.
Dabei ist das einzige was man verbieten sollte diese verdammte Ignoranz der Menschen!

Heinz (Gast) - 17. Mär, 16:13

Fehler

"Es ist einfach erbärmlich wie blind in der Öffentlichkeit mit dem Thema Ignoranz umgegangen wird."

Statt Ignoranz sollte da "Gewalt" stehen.

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